1.03.2019
Tanz
Pieter T' Jonck 
Mitten

Es kommt nicht alle Tage vor, dass man den Proben zu einer Tanzper­formance beiwohnen darf. Choreo­grafen und Tänzer haben es nicht so gern, wenn Fremde ihnen bei der Erarbeitung eines Stuckes uber die Schulter schauen. Anders Anne Teresa De Keersmaeker: Die bel­gische Choreografin vertraut den Filmemachern Gerard-Jan Claes und Olivia Rochette. Sie hat den beiden gestattet, einen Film uber den Ent­stehungsprozess ihrer Choreografie «Mitten wir im Leben sind/Bach6Cel­losuiten» zu machen. So entstand die Dokumentation «Mitten». 

Claes und Rochette sind mit den Arbeiten von De Keersmaeker bereits vertraut: Sie dokumentierten die Wie­deraufnahme des Stucks «Rain» am Pariser Opernballett im Jahr 2011. Dabei lag der Fokus allerdings nicht so sehr auf schöpferischen Prozessen, sondern mehr auf der konkreten Ar­beitssituation an einem solch groBen Haus. 

In «Mitten» dagegen nehmen wir gleichsam Platz an der Seite von Jean-Guihen Queyras - dem Cellisten und musikalischen Dramaturgen des Stuckes - und lauschen seinen Ausfuh­rungen zur Bach'schen Partitur. Faszi­nierend zu beobachten ist die Auf­merksamkeit, mit der alle Beteiligten an den Lippen des Musikers hängen. Abgesehen von einigen Szenen der Premiere, die 2017 bei der «Ruhrtriennale» in Gladbeck stattfand, konzen­triert sich der Film also auf die Proben und das Debriefing nach der ersten Vorstellung. Gerade im Festhalten je­ner Glucksmomente, wenn sich alles organisch zu fugen scheint, besteht der Reiz dieses Filmes, der freilich auch Momente kleinerer Reibereien und Spannungen nicht unterschlägt. 

Fur das geschickte Vorgehen von Claes und Rochette spricht, dass man streckenweise fast vergisst, dass der Film das Resultat einer sorgfältigen Bearbeitung und Montage ist. Ouasi in der ersten Reihe sitzend, werden wir zu Zeugen der komplexen Ver­handlungen zwischen der Choreogra­fin, den Tänzern und dem Musiker. Jeder Einzelne trägt hier ambitioniert und erfinderisch zum Voranschreiten des kunstlerischen Schaffensprozes­ses bei. So veranschaulicht «Mitten» vor allem eines: dass der Erfolg von De Keersmaekers Bach-Interpretation alles andere als Gluck eder Zufall ist: «Mitten wir im Leben sind/Bach6Cel­losuiten» wird kenntlich als Ergebnis der harten Arbeit eines ungewöhnlich begabten, feinfuhligen Ensembles. 

Aus dem Englischen von Marc Staudacher